Die Zukunft heisst Joule
Christian Klein, der CEO der SAP, hat kürzlich auf der SAP Sapphire 2024 eine regelrechte Revolution in der SAP-Welt angekündigt. Er verfolgt das ehrgeizige Ziel, SAP als führenden Anbieter für Unternehmens-KI (künstliche Intelligenz) zu etablieren. Mit der neuen Lösung SAP Joule soll die Art und Weise, wie Unternehmen arbeiten, von Grund auf verändert werden. Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, scheut SAP keine Kosten und Mühen. Sogar eine grössere Personalumstrukturierung zur Stärkung der Ressourcen im Bereich KI steht auf dem Plan. All diese Investitionen sollen die Entwicklung von SAP Joule vorantreiben, dem Wunderkind, das die ambitionierten Ziele in die Tat umsetzen soll.
SAP Joule ist ein KI-Assistent, der für alle Cloud-Kunden in sämtlichen SAP-Produkten out-of-the-box verfügbar sein soll. Im Gegensatz zu den Tech-Giganten wie Microsoft, Google, Facebook oder OpenAI, hat SAP allerdings kein eigenes Large Language Model (LLM) entwickelt, welches KI-Lösungen unter anderem zu Grunde liegt. Stattdessen haben sie clever mit den etablierten Grössen kooperiert. So können sie auch ohne Milliardeninvestitionen die neuesten LLMs wie ChatGPT, Claude, Gemini oder LLAMA als Basis für Joule nutzen.
Aber was unterscheidet Joule nun von anderen KI-Assistenten? SAP hat hier einen gewichtigen Trumpf im Ärmel, der sie von anderen Anbietern abhebt. Es handelt sich um eine der wertvollsten Ressourcen unserer aktuellen Zeit, nämlich exklusive Datensätze. Mit über 300 Millionen Cloud-Endnutzern, die täglich mit SAP-Systemen arbeiten, hat das Unternehmen Zugriff auf eine schier unerschöpfliche Menge an Daten. Und genau damit wird Joule trainiert, um massgeschneiderte Lösungen für jeden einzelnen Geschäftsprozess und Workflow zu liefern. SAP verspricht, dass Joule die Produktivität der Nutzer um bis zu 20% steigern wird. Bis Ende des Jahres sollen sogar 80% der am häufigsten genutzten Aufgaben über SAP Joule zu verwalten sein. Christian Klein geht in seiner Prognose sogar so weit, dass Joule nichts weniger als das neue Frontend, die neue Benutzeroberfläche für SAP sein wird.
Ein Alleskönner
Die Einsatzmöglichkeiten von Joule sind beinahe grenzenlos. Egal ob Auftragsmanagement, Finanzen, Analytik oder strategische Entscheidungen, der KI-Assistent soll überall zum Einsatz kommen und für Effizienz und Präzision sorgen. Aber SAP denkt noch einen Schritt weiter. Spezialversionen für Consultants und Entwickler sind bereits in der Pipeline. Joule wurde dazu mit internen Beratungsdokumenten, Schulungs- und Zertifizierungsunterlagen, Community-Daten im Terabyte-Bereich und Best-Practice-Ansätzen trainiert, um auch bei kniffligen Implementierungsprojekten mit akkuraten Antworten auf sämtliche Fragen zur Seite zu stehen. Laut SAPs Chief AI Officer Philipp Herzig konnten in Testläufen mit 4.000 internen Beratern bis zu zwei Stunden pro Tag und Person eingespart werden. Bewahrheitet sich dieses Potential, können SAP Projekte in markant kürzerer Zeit abgeschlossen werden.
Und auch Entwickler dürfen sich freuen: Mit über 250 Millionen Codezeilen trainiert, soll Joule eine Produktivitätssteigerung von 30% in der täglichen Arbeit ermöglichen. Der Assistent kann nicht nur dabei helfen, bestehenden Code zu optimieren, sondern auch neuen Code anhand menschlicher Vorgaben zu generieren. Aktuell ist es sogar schon möglich, mit SAP Joule und einem Low-/No-Code-Ansatz eine CAP (SAP Cloud Application Programming Model) App mit SAP Build Code zu erstellen. SAP bietet hierzu eine Testversion an, um erste Erfahrungen sammeln zu können:
Mit dem richtigen Prompt lassen sich ein Datenmodell und Services erstellen. Dabei werden auch die passenden Annotationen angelegt, die manuell verändert werden können.
Im Storyboard wird die Verknüpfung der Entitäten sichtbar.
Nach dem Anlegen der Entität können Testdaten generiert werden.
Auch eigene Business-Logiken lassen sich mit Joule erstellen.
Abschliessend besteht die Möglichkeit die App zu deployen und zu starten.
Wohin geht die Reise?
Die Arbeit mit den von SAP vorgefertigten Prompts, zur Generierung einer CAP App mittels SAP Joule, liefert auf den ersten Blick beeindruckende Ergebnisse. Sobald man jedoch versucht, eigene, komplexere Use Cases umzusetzen, zeigen sich noch deutliche Grenzen des Systems. Es wird klar, dass SAP Joule derzeit nur relativ «einfache Apps» erstellen kann und noch einige Zeit vergehen wird, bis die KI-Lösung alle versprochenen Resultate liefern kann. Dies gilt auch für andere, fachlichere Anwendungsfälle.
Dieses Phänomen ist kein Einzelfall in der Tech-Branche. Viele Unternehmen propagieren den sofortigen praktischen Einsatz von KI, obwohl zahlreiche dieser Technologien in der Realität noch nicht komplett produktiv nutzbar sind. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Release der Microsoft Copilot Features, die eher an Beta-Versionen erinnern als an ausgereifte Produkte.
Der Erfolgsdruck im KI-Sektor ist enorm. Im Gegensatz zu früheren Entwicklungszyklen, bei denen Funktionen oft jahrelang perfektioniert wurden, beobachten wir heute einen Trend zur schnelleren Markteinführung. Dabei leidet häufig die Qualitätskontrolle. Trotz dieser Herausforderungen könnte SAP Joule einen wichtigen Beitrag leisten, um die Benutzerfreundlichkeit von SAP-Systemen zu verbessern und die Lücken zwischen verschiedenen Plattformen zu schliessen. Die KI übernimmt hier gewissermassen die Rolle einer UI-Integration.
Es bleibt jedoch eine entscheidende Einschränkung. Der Assistent ist weiterhin nur in der Cloud verfügbar. Ob dies den Kunden gefällt oder nicht, könnte SAP dadurch den nötigen Rückenwind für ihre "Rise with SAP"-Initiative erhalten. Dies könnte mehr Unternehmen dazu bewegen, auf die S/4HANA Cloud Edition umzusteigen. So nutzt SAP geschickt den KI-Hype, um auch die Cloud-Strategie voranzutreiben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass SAP Joule zwar vielversprechend ist, aber noch nicht das Allheilmittel darstellt, als das es teilweise präsentiert wird. Es spiegelt den aktuellen Stand der KI-Entwicklung wider: grosses Potenzial, aber auch noch viel Raum für Verbesserungen. Wir sind gespannt, wohin die Grenzen von KI-Lösungen in Zukunft verschoben werden.
Haben wir Ihr Interesse zu SAP Joule geweckt? Zögern Sie nicht und kontaktieren Sie uns. Wir freuen uns auf Ihre Fragen.
Comments